Vom Abenteuer kurz vor 50 ans Meer zu ziehen

Ja, wir sind Überzeugungstäter. Obwohl Bekannte und Nachbarn uns den Wechsel nicht zugetraut haben. Echte Freunde wussten Bescheid.  Sie wunderten sich allerdings sehr über das Vorhaben, so weit es meinen Mann betrifft. Zur Sache: Mein Gatte, bis Juli noch 58 Jahre alt, und ich, gerade eben noch 49 Jahre alt, sind im Herbst 2009 an die Ostsee gezogen.

Dabei hat mein guter Gatte Zeit seines Lebens im Münsterland, in einem 12.000-Einwohner-Ort 20 Kilometer von Münster entfernt, verbracht.
Mich hat es während meines Studium 1982 dorthin verschlagen und die Liebe hielt mich dort fest, bis die Liebe zur Ostsee neue Prioritäten schuf.
Die ersten 18 Jahre meines Lebens prägte mich das Ruhrgebiet. Duisburg und seine Industriekultur bildeten meine Umwelt. Münster zum Studium war eine wunderbare Alternative.


Schon als Jugendliche zog es mich in die Natur, vorzugweise in die Berge. Bis ich meinen Mann traf – einen ausgewiesenen Wasser- und Segelfreund. Der erste gemeinsame Urlaub fand – natürlich – auf dem Segelboot statt. Ich versuchte, ihn an Land und auf die Berge zu ziehen, er hielt mit der Nordsee dagegen, die er aber leider auf Grund eines Lungenleidens nicht gut verträgt.


In unseren Wortwechsel, wo wir die Jahreswende 2002/2003 verbringen sollen, platzte ein guter Freund. „Ich fahre nicht mit Richard an die Nordsee, dort wird er im Winter eh nur krank“, erklärte ich unseren kleinen, aber folgenschweren Streit. „Nehmt doch mal die östliche Ostsee, da ist es so schön. Wald und Meer...“, riet Gerd. So parkten wir unser Wohnmobil in Meschendorf bei Rerik. Ein schneereicher Winter, wundervolle Natur, klare Luft und meinem Gatten ging es göttlich.
Wir kamen immer wieder in den Nordosten. Zur IGA, erkundeten Rostock vom Zeltplatz in Börgerende aus, bereisten den Darß, Usedom und landete doch immer wieder im bald schon heimischen Börgerende. Dort wurde uns von Bekannten aus unserem Heimatdorf im Mai 2004 eine Wohnung zum Kauf angeboten. Als Feriendomizil eingerichtet, sollte sie so genutzt und später unser Alterssitz werden. Wann ist später? Wann ist es vielleicht zu spät? Wir testeten alle Jahreszeiten. Der Gesundheit meines guten Gatten ging es hier stets besser als in der Tiefebene des Münsterlandes. Und nach einer heftigen Erkrankung im alten Zuhause, wurde klar: Jetzt oder nie.

Als Journalistin konnte ich mich mit meinem aufs Sparen versessenen Verleger sehr schnell einigen. Mein vorzeitig verrenteter Mann musste sich mit niemandem einigen und unsere studierende Tochter ging im August 2009 für zwei Semester nach Paris, schuf also selbst eine größere Entfernung als Münster – Bonn. Da machten die Kilometer bis Rostock den Kohl auch nicht mehr fett.

Unsere Wohnung an der See bauten wir  um – eine Geschichte für sich – und  das nach dem Auszug der Tochter viel zu große Haus wurde ausgeräumt, schließlich der Möbelwagen bepackt. Zuvor hatten wir viele überzählige Einrichtungsgegenstände vorzugsweise an jugendliche Freunde unserer Tochter verschenkt, denn von 220 Quadratmetern verkleinerten wir uns auf 80 – zu zweit eine besser bewohnbare Größe.

Passend am Einheitsfeiertag, 3. Oktober, erfolgte unser Umzug, doch zehn Tage später mussten wir zu einem Treffen nach Süddeutschland aufbrechen und im Anschluss unser Haus im Münsterland für die Vermietung renovieren.

Mein endgültiger Einzug mit Hund Findus und dem nicht mehr jungen Ente-Auto erfolgte am 26. Oktober. Mein Mann zog im Anschluss an die vollendete Renovierung am 21. November nach. Seit diesem Zeitpunkt leben wir hier, 300 Meter vom Meer entfernt. Je nach Windrichtung hören wir seine Melodie auf unserer Terasse und in unseren Räumen.
Seit her flackert Heimweh auf, wenn ich länger als eine Woche nicht am Ostseestrand sein kann. Und seit her gibt es eine Menge von Geschichten, die wir in diesem wundervollen Landstrich erlebt haben, und die ich nach und nach an dieser Stelle erzählen möchte.

So etwa die von meinem Einzug, bei dem mich das geliebte Enten-Auto das erste Mal im Stich ließ, auf der Autobahn, sechsspurig, mitten in Hamburg, aber das ist eine neue Geschichte.

Hildegard Selle

Kommentar schreiben

Kommentare: 0